Kann man den Klang eines Mikrofons an seinem Frequenzgang ablesen?

Mikrofondaten verstehen (2)

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KANN MAN DEN KLANG EINES MIKROFONS AN SEINEM FREQUENZGANG ABLESEN?

Der Frequenzgang ist der wohl am meisten beachtete Teil des Datenblatts, schließlich bietet er Rückschlüsse auf das, was uns am wichtigsten ist, der Klang. Aber kann eine Frequenzgangdarstellung wirklich das Klangverhalten eines Mikrofons akkurat beschreiben?

WAS EINE FREQUENZGANGKURVE AUSSAGT – UND WAS SIE VERSCHWEIGT

Reine Zahlenwerte zum Übertragungsbereich wie 20 Hz bis 20 kHz sind wenig hilfreich. Ein Diagramm des Frequenzgangs ist schon deutlich aussagekräftiger, denn es illustriert die Klangbalance des Mikrofons. Gibt es beispielsweise in den oberen Frequenzen einen Anstieg um, sagen wir, 6 dB, dann kann man davon ausgehen, dass das betreffende Mikrofon recht hell und brillant klingen wird. Was der Frequenzgang jedoch nicht zu sagen vermag, ist, ob man diese Art von Brillanz, ihren Charakter, ihre „Textur“ als angenehm empfinden wird oder nicht, ob sie in den eigenen Ohren seidig klingt oder unangenehm scharf.

SO LIEST MAN EIN FREQUENZDIAGRAMM

Betrachten wir zunächst die X-Achse: Die Frequenzen sind üblicherweise logarithmisch skaliert, da dies eher der menschlichen Wahrnehmung entspricht als eine lineare Skalierung. Man könnte auch sagen, die Frequenzen sind in Oktaven dargestellt. Oktaven gehen nämlich immer mit einer Frequenzverdoppelung einher: Der Abstand zwischen 100 Hz und 200 Hz ist auf der X-Achse genauso weit wie der zwischen 1000 Hz und 2000 Hz bzw. 10.000 Hz und 20.000 Hz.

Die Frequenzbereiche lassen sich in etwa so einteilen:

Unterhalb 40 Hz: Sub-Bassbereich. Dieser Bereich enthält kaum musikalische Information, mit Ausnahme der tiefsten Anteile der Bass Drum.

40-200 Hz: Bassfrequenzen, das Fundament. Die tiefste Note eines viersaitigen E-Basses liegt bei etwa 40 Hz, das tiefe E einer Gitarre liegt eine Oktave darüber bei rund 80 Hz. Die tiefsten Töne eines männlichen Sängers (Bariton) liegen bei etwa 100 Hz, wobei aber so tiefe Noten selten zu hören sind – außer vielleicht von Country-Sängern. Pop-Gesang von männlichen und weiblichen Sängern hat kaum Klanganteile unterhalb 150 Hz.

200-500 Hz: untere Mitten. Das ist der „Körper“ der meisten Instrumente, und hier entfaltet auch die menschliche Stimme die meiste Energie.

500-3000 Hz: Mitten. Dieser Bereich ist entscheidend für den Klangcharakter, denn hier ist das menschliche Ohr extrem empfindlich für die kleinsten Details. Ein Telefon überträgt nur wenig über oder unter diesem Mittenbereich, und doch sind wir in der Lage, einen Anrufer alleine an seinem „Hallo“ zu erkennen – meist erkennen wir sogar schon seine Stimmungslage!

3000-7000 Hz: Präsenz. Dieser Bereich ist wichtig für die Klangdefinition und gute Sprachverständlichkeit. Wichtige Sprachkonsonanten liegen in diesem Frequenzbereich.

7000-14.000 Hz: Höhen. Dieser Bereich entscheidet darüber, wie brillant wir eine Klangquelle wahrnehmen. Allerdings kann zu viel Energie in diesen Frequenzen unangenehm scharf klingen bzw. von anderen Signalen und Klanganteilen ablenken.

Dieser Frequenzbereich enthält u.a. Sprachlaute wie S und T,  Hi-Hats und Becken sowie Saitengeräusche.

Über 14.000 Hz: Air-Band.  Dieser Bereich ist wichtig, wenn Aufnahmen „teuer“ bzw. betont „audiophil“ klingen sollen. Diese Frequenzen geben Stimmen und Saiteninstrumenten etwas Luftiges, daher spricht man auch von Air-Band.

FREQUENZGÄNGE VERGLEICHEN

Wenn man Frequenzgänge vergleicht, sollte man immer darauf achten, wie die Y-Achse skaliert ist. Einige Hersteller verwenden eine sehr weite Skalierung, die selbst einem sehr unebenen Frequenzverhalten (scheinbar!) ausgeglichene Kurven beschert.  Es sei auch darauf hingewiesen, das manche weniger seriöse Hersteller ihre Frequenzdiagramme mehr oder weniger zusammenfantasieren, da sie gar nicht über die entsprechende Messausstattung verfügen. Ein reflexionsarmer Raum und verlässliches Messequipment sind keine geringe Investition. Papier und Bleistift sind deutlich billiger!

Ein gutes Studiomikrofon ist deutlich ausbalancierter als ein Bühnenmikrofon, aber keineswegs völlig linear. Die meisten Studiomikrofone zeigen einen Anstieg in den oberen Frequenzen, d.h. in den Präsenzen und Höhen. Prinzipiell wären Frequenzgangdarstellungen hilfreich, um die genaue Position und die Stärke dieser Frequenzbetonungen zu vergleichen. Praktisch funktioniert das aber nur bedingt und nur bei seriösen Herstellern. Bei weniger renommierten Herstellern sind die publizierten Mikrofonfrequenzgänge oft unzutreffend bzw. dokumentieren eher den Wunsch der Entwickler als die Realität.